Begegnungen

Wer vermisst nicht die Leichtigkeit von früher vor der Pandemie, wie wir ungezwungen mit unseren Mitmenschen in Berührung kamen, zum Beispiel auf einer Party?
Nach zwei Lockdowns und drei Online-Semestern an der Universität haben mir bald die ersten Unterrichtsstunden in Präsenz, die Zugfahrten zur Arbeit und und die Kontakte, die sich unterwegs ergeben haben, das alte Gefühl zurückgegeben, das ich in den einsam verbrachten Corona-Monaten vergessen hatte: die Freude Menschen live zu erleben, ihnen beim Sprechen in die Augen zu sehen, mit ihnen spontan über einen Witz zu lachen und zu hören, wie das gemeinsame Gelächter im Raum vibriert, während unsere Körper gleichzeitig Glückshormone ausschütten.
Doch im Hintergrund läuft alles anders als früher. Wir leben von Tag zu Tag. Es scheint keine Sicherheit mehr zu geben. Dinge, die früher stabil schienen, fühlen sich heute wackelig an. In den zwischenmenschlichen Beziehungen spürt man es auch.
Es ist insgesamt schwierig geworden, sich mit anderen ruhig zu unterhalten, denn man ist schnell über aktuelle Themen nicht einverstanden und man ärgert sich nur; abgesehen davon viele vermeiden absichtlich einen Austausch.
Wenn es doch gelingt, eine Basis Empathie zu schaffen, hält diese nicht lang. Sie ist flüchtig wie Begegnungen im Zug oder auf einer Party. Mit anderen Worten. Kaum geht man in Resonanz mit jemandem, ist gleich eine Trennung da.
Hat es mit damit zu tun, dass der andere der nächste Risiko-Kontakt sein könnte, der uns die Corona-Warn-App melden wird? Früher hatte die Angst angesteckt zu werden mit Intimkontakten mit Fremden zu tun. Heute geht es um den ein ein-halb-Meter-Abstand.
Aber niemand ist absichtlich böse. Wir sind auf Schutz-Modus eingestellt, und das betrifft auch unsere Gedanken und Emotionen. Durch die Pandemie haben wir eine andere Wahrnehmung der Dinge gewonnen, wir sind alle empfindsamer geworden.
In dieser Hinsicht habe ich je als zuvor oft das Gefühl, Menschen zu treffen, die mir sehr ähnlich sind, in der Art wie sie die Sachen empfinden. Es ist, als ob ich mit mir selbst vor einem Spiegel stehen würde und mich selbst hören würde, oder als ob ich in zwei Teilen gespalten wäre und diese, miteinander sprechen lassen würde. Achtung: Es geht hier um den Gemütszustand, um den Versuch zu kommunizieren, wie man sich gerade fühlt, und nicht um Einstellungen, Meinungen oder politische Haltungen.
Unter dieser Konstellation geschehen merkwürdige Begegnungen. Man gesteht sich tiefsinnige Sachen und spürt man dabei mit dem anderen eine starke Verbindung, aber dann – wie bereits geschildert - ist alles schnell vorbei. Wir werden uns wahrscheinlich demnächst nicht wieder sehen und uns weiter mit unserem komplizierten Alltag beschäftigen, aber wir haben uns diesmal getroffen, um uns zu bestätigen, dass wir unsere Gefühle vertrauen können.
Ich schätze solche Begegnungen sehr. Es fühlt sich an, wie kleine Stromschläge, die uns zum Leben zurückbringen, die uns nochmal alte Gefühle der Ära vor der Pandemie spüren lassen, jenseits der Angst vor Krankheit und Tod.
Begegnungen und Mitmenschen: Zu diesem Thema möchte ich einen Auszug aus meinem Roman lesen. Die Geschichte spielt in der Zeit vor der Pandemie.
Die Protagonistin geht mit einer Bekannten tanzen. Es besteht keine richtige Freundschaft zwischen den zwei Frauen, aber am Ende des Abends ist das gute Gefühl da, dass jemand sich für eine kurze Zeit um die andere gekümmert hat.
Manchmal können flüchtige Begegnungen oder reine Bekanntschaften eine Stütze sein, ausgerechnet wenn man gerade um sich selbst nicht kümmern kann.
Wir sollten unseren Mitmenschen, auch nur für ihre kurzweilige Präsenz in unserem Leben, ihre Rolle anerkennen, auch wenn sie anders gestrickt sind als wir, genauso wie Daniela und die Viivi in meinem Roman, oder wenn man sie kaum kennenlernt haben. Jeder Begegnung oder jeder Mensch hat seinen Sinn in unserer Geschichte. Wir müssen bloß uns fragen welchen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Zuhören.
Wenn ihr neugierig über Viivi und Daniela seid, könnt ihr mehr ich beim Lesen meines Romans „Weich unter meinen Füßen“ erfahren. Oder wir hören uns beim nächsten Podcast.
Viele Grüße von eurer Cinzia.

Kapitel 17. Mehr Margarita
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